Zu den Fotografien Josef Sudeks
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Nur wenige tschechische Fotografen erwecken bei denen die eine gute Aufnahme zu schätzen wissen, so eindeutige Bewunderung wie Josef Sudek. Die Wertschätzung, deren er sich im eigenen Lande wie im Ausland erfreut, ist jedoch nur eine logische Folge der Ehrlichkeit und künstlerischen Aufrichtigkeit seines Werks. Josef Sudek war immer ganz er selbst, und dies ohne Rücksicht auf die zeitbedingten Wandlungen in der schöpferischen Auffassung der Fotografie. Er liess sich in seinen Schaffen einzig und allein von seinen untrüglichen Gefühl leiten.
Josef Sudek beschritt seinen Weg in der tschechischen Kunstfotografie in den zwanziger Jahren, also zu einer Zeit, da sich unter dem Einfluss von Drahomir J. Rüzicka die damalige junge Generation von den „Edeldrucken", mit denen ihre Vorläufer den malerischen Vorbildern nahezukommen suchten, allmählich abzuwenden begann. Auch Sudek übernahm bald die Ansicht von der Unantastbarkeit des Negativs, das vor manuellen Eingriffen bewahrt bleiben müsse, und begann für seine Positive das allgemein hergestellte Bromsilberpapier zu verwenden. Nach dieser Rückket zu den „fotografischen Qualitäten" der Aufnahmen kommt sein Werk mit den Einflüssen der „neuen Sachlichkeit" in Berührung, die sich namentlich in einer Vorliebe für schneidende Schärfe und in einer Fülle von Einzelheiten bei der Durch-Zeichnung der Oberflächenstruktur geltendmachten. In den dreissiger und vierziger Jahren stossen wir in einem bestimmten Teil von Sudeks Schaffen auf Zusammenhänge mit der seinerzeitigen künstlerischen Avantgarde bei der Entdeckung phantastischer Formen an verschiedenen, zufalling mit dem Blick erfassten Gegenständen, die geradezu an eine metaphorische Auslegung der Wirklichkeit grenzte. Auch diese Relativierung der ursprünglichen Bedeutung des Sujets führte jedoch vor allem zu einer Betonung der poetischen Elemente in den Dingen des Alltags. Sudek bewies damit unzählige Male, dass das schöpferische Auge aif der Basis des persönlichen Erlebnisses des Künstlers den Blick auf die Welt auch in solchen Fällen mit einem bewundernswerten Lyrismus zu interpretieren vermag, in denen die Vorwürfe an sich offenbar das Interesse des Normalbeschauers nicht auf sich ziehen würden.
Die Auswahl von Sudeks Fotografien fasst Proben won Arbeiten zusammen, die sämtlich nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es sind darin die wichtigsten für das Schaffen des Autors typischen Genres vertreten. Allen Aufnahmen ist gemeinsam, dass trotz der offensichtlichen Hervorhebung der poetischen Elemente und der emotionalen Atmosphäre die ursprüngliche Vorlage aus der realen Welt auf den Fotografien nie ihre Identität einbüsst.
Sudek liebte eine zarte, diffuse Beleuchtung, mit der er virtuos zu arbeiten verstand. Auf den Aufnahmen der feuchtigkeitsbeschlagenen Fenster spielte er seine reife Kunst in einer ungemein breiten Skala aus und liess uns zugleich den ganzen Raum vor der Glasscheibe und dahinter ahnen. Seinen hochentwickelten Sinn für die Erzielung geradezu zau-berhafter Lichtwirkungen verraten die weiträumigen Einsteillungen in Gärten, wo er ebenso empfindsam den feinen Nebel der aus den Zerstäubern der Rasensprenger geschleuderten Wassertröpfchen wie die Lichtstreuung auf i Blättern der Bäume ausnutzte. Bei Landschaftsaufnahmen wählte er absichtlich und wohlüberlegt jene Jahreszeiten, wo das Licht die einzelnen Gebilde, aus denen sich die van ihm gefundenen Motive zusammensetzten, weich einhüllte. Zu diesen Erkenntnissen gelangte Sudek allerdings rein gefühlsmässig, nicht auf spekulativem Wege.
Das Hauptkriterium seines Schaffens war es, in der wirklichen Weit „seine künftige Aufnahme zu sehen", wobei es sich nicht nur um das Zusammenspiel der Formen, sondern um einen integralen, alle Witterungs- und Lichteinflüsse einbeziehenden Eindruck handelte. Harmonisch ergänzt wurde die Sensibilität des fotografischen Sehens bei Sudek noch durch die Achtung vor dem guten Handwerk. Bemerkenswert ist, dass er vor allem mit älteren Fotoapparaten für Grossformat arbeitete, denn er gab hartnäckig Kontaktkopien vor Vergrösserungen den Vorzug. Dies hing mit seinem Bestreben zusammen, ein Maximum an Einzelheiten zu erfassen, das sich bei seinen Aufnahmen schon von Jugend auf erkennen liess. Aus ähnlichen Gründen verwendete Sudek auch starke Blenden, wodurch er überraschend grosse Tiefenschärfen erzielte. Dabei machte es ihm nichts aus, dass er unter diesen Bedingungen manchmal (besonders bei Stilleben in Innenräumen) seine Aufnahmen Dutzende von Minuten belichten musste. Gerade Ruhe und Geduld, sei es schon bei der Suche nach dem Mctiv oder bei den Vorbereitungen zu seiner konkreten Gestaltung, waren die typischen Aussagen von Sudeks menschlicher Weisheit. Diese Art an das Werk heranzugehen, verlieh offenbar auch seinen Aufnahmen jenen besonderen, zeitlosen Reiz, der auf den modernen, in stetiger Unrast lebenden Beschauer eine so mächtige Wirkung ausübt.
Im Laufe des Jahres 1976, in dem Josef Sudek sein achtzigstes Lebensjahr vollendete, wurde seinem Werke beträchtliche Aufmerksamkeit gewidmet. Die Mährische Galerie in Brno und das Kunstgewerbemuseum in Prag veranstalteten aus diesem Anlass monographische Ausstellungen; eine weitere Rückschau auf sein Schaffen, aus Beständen des Kulturministeriums der CSR, begann als Wanderausstellung in der altehrwürdigen Stadt Aachen ihren Siegeszug durch das Ausland.
Leider hat Josef Sudek seinen achtzigsten Geburtstag nicht ange überlebt. Ende Juli 1976 unterschrieb er noch, auf einer vom Verlag Pressfoto in der Buchhandlung „Tschechoslowakischer Schriftsteller" in Prag veranstalteten Autogram-miade, die erste Auflage dieser Publikation. Anfang September beteiligte er sich in Kolin nad Labern an einem Seminar über das fotografische Werk seines Freundes Jaromir Funke. So fügte es sich, dass Josef Sudek gerade in der Stadt, wo er das Licht der Welt erblickt hatte, auch zum letztenmal in der Öffentlichkeit auftrat.
Der Tod setzte den Schlusspunkt hinter ein grosses, empfindungsreiches Werk, das einen der wesentlichsten Beiträge zur Entwicklung der tschechoslowakischen Fotografie des zwanzigsten Jahrhunderts darstellt. Diese Schlüsselstellung ist n'icht allein auf die Persönlichkeit des Autors zurückzuführen, sondern auch auf die engen Kontakte mit der heimischen Tradition und der Kultur des Sehens. Kaum ein Fotograf war so wesenhaft mit dem Geist seines Heimat-landes verbunden wie gerade Josef Sudek. Und eben dadurch, dass er sein Gesamtwerk so ehrlich auf Grundlagen aufbaute, die in direktem Zusammenhang mit dem Milieu standen, in dem sein Fühlen zur Reife gelangte und wo er zu einem grossen Künstler heranwuchs, gewann er weltweite Bedeutung. Heute kann man sich nur schwer eine modern konzipierte Geschichte der Fotografie vorstellen, in der sein Name, der sich denen der bedeutendsten Kunstfotografen unserer Zeit würdig an die Seite gestellt hat, nicht Erwähnung fände.

PETR TAUSK

KURZGEFASSTE BIOGRAPHISCHE UND BIBLIOGRAPHISCHE DATEN

Josef Sudek wurde am 17. März 1896 in Kolin geboren. Er erlernte das Buchbinderhandwerk. Im Ersten Weltkrieg wurde er durch einen Granatsplitter verwundet und im Jahre 1917 musste ihm eine Hand amputiert werden. Infolgedessen konnte sr seinen ursprünglichen Beruf nicht weiter ausüben und wurde Berufsfotograf Im Jahre 1922 begann er an der Staatlichen graphischen Schule in Prag bei Prof. Karel Noväk zu studieren. Als selbständiger Fotograf mit eigenem Atelier arbeitete er eng mit der Verlagsanstalt Druzstevni prace zusammen. Im Jahre 1961 wurde Josef Sudek als erstem tschechoslowakischen Fotografen der Titel „Verdienter Künstler" verliehen, im Jahre 1966 erhielt er den „Orden der Arbeit". Er starb in Prag am 15. September 1976. Von Sudeks Buchausgaben sind besonders die monographischen Bildbände hervorzuheben, die im Jahre 1956 der Verlag SNKLU in Prag (mit einem einleitenden Text von Prof. Lubomir Lin-hart) und im Jahre 1964 der Verlag Artia in Prag herausgaben.

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